Text: Hermann Diel
Sicher scheint:
Die Desolation Row ist keine Straße in New York. Sie ist Teil eines Erdbebens. Dieses Erdbeben heißt
“Highway 61 Revisited“. Bruce Springsteen sagte über dieses Album und seinen
Auftaktsong „Like a rolling stone“: Es klingt als ob Dir da einer „eine Tür zu
Deinem Gehirn eintritt“. Spätestens mit diesem Album brachte Bob Dylan die
Menschen in eine andere Sphäre. Denn Dylan bringt hier alle Geschichten
zusammen, die den „american way of life“ bilden: Ein Konglomerat aus
Altem und Neuem Testament, aus dem Wagemut der Entdecker und der
Arroganz der Kolonialisten, aus europäischer Kultur und amerikanischen
Träumen. Und vor allem – und das wird gerne übersehen: Aus Geschichten
über die Liebe. Alles das fließt zusammen in der Desolation Row.
Viele beschreiben Desolation Row als Apokalypse; sie sehen nur einen
einzigen roten Faden, der alle Figuren verbindet, nämlich die Sinnlosigkeit
ihres Treibens. Und tatsächlich: Wenn Desolaton Row eine Beschreibung der
Gesellschaft darstellt, dann haben wir heute - 40 Jahre später - diese Tollheit
sogar noch übertroffen. Ein Nachmittag im Privatfernsehen ist doch kaum etwas
anderes als ein Blick in diese Welt! Unser echtes Leben heute lässt den Aberwitz der
Desolation Row zuweilen als gesittete Choreografie von Kulturmenschen erscheinen. Der Blick in diese
vermeintliche Düsternis erscheint apokalyptisch, negativ, trostlos.
Das Gegenteil ist der Fall!
Die Desolation Row ist nicht das Grauen, sondern die beste aller Welten dieser Zeit.
Matthias Schmidt empfiehlt in seiner Doktorarbeit über Bob Dylan, sich das Lied aus einiger Entfernung
zu betrachten. So wie man ein Bild betrachtet: Erst der Abstand gibt den Blick frei für das Eigentliche.
Es hat ja alles seinen Grund, und es gibt in diesem ganzen Tohuwabohu Hoffnung und Erlösung. Und
diese ist weder religiös noch philosophisch, sondern ist mit Händen zu greifen: Das Leben selbst lacht,
ganz am Schluss, nach 120 Zeilen endloser Absurdität. Das Happy End kommt genau da, wo es hingehört:
In die Vorstellung des Hörers nach dem Song.
Vielleicht leben wir tatsächlich in diesem verzweifelten Chaos. Doch Dylan beruft sich unausgesprochen
auf Paulus und seinen Korintherbrief. Was nutzte denn alles Wissen, alles Können, alle Erkenntnis? Was
nutzte den Menschen also, wenn sich nicht im Chaos der Desolation Row lebten - und hätten aber die
Liebe nicht? Nichts wäre es nütze! Die Rettung aber nimmt ihren Lauf im Durcheinander. „Glaube,
Liebe, Hoffnung“ treiben Dylan wie den Paulus um.
Die Liebe aber ist die Größte unter diesen drei.
Alles also wird gut. Du musst nur, heißt es in der letzten Zeile, Deine Post
künftig in der Desolation Row aufgeben.
Gouachen & Radierungen Bernd Lehmann
Song & Danceman Band
Absender: Robert Allen Zimmermann, DESOLATION ROW, USA.
Gouachen & Radierungen Bernd Lehmann
Post aus der Desolation Row
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